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Der Kommentar

Krebsregistrierung

und Datenschutz

Krebsregister und das Problem

der Verhältnismäßigkeit

 

Zur Situation der Krebsepidemiologie

in der Bundesrepublik


Von Enno A. Winkler

Die in Berlin existierenden Krebsregister sind vom Berliner  Datenschutzbeauftragten schon  vor Jahren überprüft worden.Nachsorgeregister waren dabei weniger datenschutzrechtlich problematisch als das “Forschungsregister”.

 

Die Bildung von medizinischen Zentralregistern zu Forschungszwecken  ist  verfassungsrechtlich

höchst bedenklich. Denn hier gerät der Anspruch auf Freiheit der Forschung und der Anspruch des Patienten auf Respektierung  seiner Persönlichkeitssphäre in Konflikt, der letzlich nur durch eine Güterabwägung verfassungsgemäß gelöst werden kann.


Die Güterabwägung ist das rechtssystematische Mittel, um die beiden einander widersprechenden Grundpositionen in ein ausgewogenes Verhältnis
zu bringen. Durch die Güterabwägung darf jedoch der  Kernbereich  des  einen  wie  des  anderen Grundrechts nicht beeinträchtigt werden. Hier geht es also angesichts vielfältiger Forschungs-möglichkeiten um den Kernbereich des “informationellen Selbstbestimmungsrechtes”  ( BVerfUrteil  zurVolkszählung vom 15.12.1983 ) als eines nicht zu  beeinträchtigenden

Für die meisten Menschen ist Krebs gleichbedeutend mit qualvollem Siechtum, Hoffnungslosigkeit und Tod. Und es scheint so, daß immer mehr von uns von dieser Krankheit bedroht werden. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen in der Bundesrepublik liegt zwischen 200 000 und  250 000,  die der Sterbefälle bei 150 000. Von den derzeitigen Bewohnern  der  Bundesrepublik Deutschland werden elf- bis zwölf Millionen an Krebs sterben.

Angesehene Wissenschaftler und
viele  umwelt- und  psychosozial-orientierte Laien halten es für gesichert und belegen dies durch Beispiele aus der
epidemiologischen Forschung, daß Krebs in über 90 Prozent durch äußere Noxen wie psychosozialen Distress, persönliche Lebensführung (Rauchen, Ernährung)  und Umweltfaktoren (Luft- und Wasserverschmutzung, berufliche Schadstoffexposition) verursacht wird. Sie sehen darum auch die Lösung des Krebsproblems in der Identifizierung und

Ausschaltung jener Noxen.

Bewerkstelligt werden soll dies zunächst durch Erfassung und Auswertung aller Erkrankungsfälle einer Region durch sogenannte regionale (epidemiologische) Krebsregister: “Epidemiologische Register stellen heute die wichtigste Informationsquelle für die Krebs-bekämpfung und die Krebs-ursachenforschung dar” (Wagner). Wegen der Fülle und Komplexität der Daten ist dazu der Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung unumgänglich. Nach dem Mustergesetzentwurf für regionale Krebsregister der Bundesregierung vom 27.1.1982 und nach der Verabschiedung der von Bund und Ländern gemeinsam aufgestellten, das Mustergesetz korrigierenden Thesen zur “Einrichtung von regionalen Krebsregistern”  durch die 51. Gesundheitsministerkonferenz
am 18.11.1983 stehen wir jetzt auch in Berlin vor der Frage: Brauchen wir ein regionales Krebsregister und ein Krebsregistergesetz?

 

 

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      Die Berliner Ärztekammer  21(1984), 81-96                                                                                                          81

 


 

 

  Gesundheitspolitik

 

 

 

 

 

 

Teiles des Persönlichkeitsschutzes.

 

Die Freiheit der Forschung hat ihre Grenzen dort, wo der Kernbereich des “informationellen Selbstbestimmungsrechts”  des  Patienten  beeinträchtigt wird. Das “informationelle  Selbstbestimmungsrecht”, das durch das BVerfUrteil als besonderer Aspekt derGrundrechte aus Art. 1 und 2 GG herausgearbeitet wurde, wäre m. E. im Zusammenhang mit  ärztlicher  Behandlung  dann  verletzt, wenn im Arzt-Patient-Verhältnis dem Patienten keine Entscheidungsmöglichkeit mehr verbleibt, über Informationen, die ihn selbst betreffen, zu entscheiden. Nur überragende Werte des Allgemeinwohls könnten einen derartigen Eingriff rechtfertigen. Das Allgemeinwohl ist jedoch kein Kriterium, welches bei der hier vorzunehmenden Abwägung zweier gegenläufiger Grundrechtspositionen Anwendung finden kann.


Die Beeinträchtigung eines Grundrechts in seinem Kernbereich ist somit im Kollisionsfall grundsätzlich ausgeschlossen. Dies hat zur Folge, daß die gesetzliche Anordnung einer Meldepflicht oder eines Melderechts zum Zwecke epidemiologischer Forschung als verfassungs-widrig beurteilt werden müßte, weil der betroffene Patient sein informationelles  Selbstbestimmungsrecht  nicht mehr ausüben könnte. Die Meldung einer Krebserkrankung,  die dem  Patienten noch nicht einmal bekannt ist, wäre hierbei als besonders schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eines Patienten anzusehen. In Betracht kommt daher nur eine personenbezogene Meldung, in die der Patient ausdrücklich eingewilligt  hat.  Auch
Erwägungen, die an das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit anknüpfen, würden zu rechtsstaatlichen Bedenken gegenüber einem Gesetz  führen,  welches  im  Interesse  der Forschungsfreiheit das informationelle Selbst-bestimmungsrecht eines Patienten in einem so wichtigen Bereich aufgibt.


Es ist nicht die Aufgabe des Datenschutzes, über diese  verfassungsrechtlichen  Überlegungen hinaus eine Bewertung  der  konkurrierenden  Forschungsmethoden vorzunehmen. Jedoch zeigt die Erfahrung, daß zumindest die Weiterentwicklung von  Anonymisierungs-   und  Aggregationsmethoden vordringlich ist. Methodologische Vorüberlegungen dieser Art können wesentlich dazu beitragen,  die Probleme der  ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes gar nicht erst aufkommen zu lassen.

 

Dr. Ulrich von Petersdorff

Referent beim

Berliner Datenschutzbeauftragten

 

Formen von Krebsregistern

und ihre Aufgaben

Zur Präzisierung der Diskussion über Krebsregister muß man wissen,
daß  es im  Prinzip drei  Arten von
Registern  mit  unterschiedlicher
Zielsetzung und unterschiedlicher
Problematik gibt:


1. das klinische Register,
2. das Spezialregister
(Organregister)

     und
3. das regionale (epidemiologische)

    Register.

Eine Charakterisierung der drei

Registertypen findet sich in Tabelle 1.
Die  bundesweit und  jetzt  auch  in
Berlin geführte Auseinandersetzung
dreht sich  zunächst  um den Typ 3,
das regionale epidemiologische Re-
gister. Regionale Krebsregister sollen die lebenden und verstorbenen Krebskranken
einer Region flächendeckend und vollständig erfassen (Bevölkerungsbezug) und

1. die  jährlichen  Neuerkrankungen     aufgegliedert  nach  Tumorform,
    Alter, Geschlecht etc. (Inzidenz),
2. den Bestand an Krebskranken in der     Bevölkerung (Prävalenz) und
3. die Sterblichkeit (Mortalität) ermitteln.

Dazu  ist  ein  Mindest - Datensatz
notwendig (Tab.2).  Ferner muß eine standardisierte Nomenklatur gefordert werden (ICD-9, gegebenenfalls C-TNM). Die obere Grenze für ein  arbeitsfähiges epidemiologisches Register  liegt  nach Ansicht deutscher und ausländischer Experten bei einer Einzugspopulation von fünf bis sieben Millionen. Bei einer Gesamtpopulation  von  60  Millionen käme damit ein nationales Register  für die Bundesrepublik u.a. wegen  des  Ausmaßes der  Daten nicht in Frage. Andererseits wird auf nationaler Ebene eine repräsentative Stichprobe von nur  10  bis  15 Prozent der Gesamtbe-völkerung als ohnehin  ausreichend für die Erreichung der angestrebten Ziele angesehen. Dies wäre mit regionalen Registern schon in etwa  vier  Bundesländern realisierbar.

Die Ermittlung der reinen Inzidenz sowie Prävalenz-  und  Mortalitätsdaten stellt

 

 

1.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.     

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




 

3.

epidemiologische Krebsregister vor folgende Probleme:

Sicherung der vollständigen  Erfassung aller Krebspatienten (Repräsentativität).                  Nach Meinung der Epidemiologen ist die vollständige Erfassung möglich durch ein Meldesystem, das alle  Personen und  Institutionen einbezieht, die Krebskranke diagnostizieren, behandeln oder sonstwie  betreuen. Durch Mehrfacherfassung wäre die  Repräsentativität auch dann gesichert, wenn  “nur”  ein  Melderecht  (mit Vergütung)  und  nicht  eine Meldepflicht  eingeführt  würde. Ohnehin scheint   eine   Meldepflicht ohne Motivation der Beteiligten nicht zu greifen, wie Erfahrungen in osteuropäischen Ländern und bei  der Seuchengesetzgebung übrigens auch in der  Bundesrepublik zeigen.

Elimination von Mehrfach- Erfassungen.

Das beschriebene  Meldesystem
führt  zwangsläufig  dazu,  daß
Mehrfachmeldungen vorkommen
und herausgefiltert werden müssen. Weitere Mehrfachmeldungen werden verursacht  durch  wohnungs- und therapiebezogene Mobilität der Patienten und durch wiederholte Histologien beispielsweise beim Auftreten von Metastasen.Die Elimination dieser Mehrfachregistrierungen bzw. die richtige Zuordnung nachgelieferter Daten (record linkage) und damit die Sicherung der wahren statistischen Verhältnisse ist nur möglich, wenn die Patienten aus der Datei
(re-)identifizierbar sind.

 

Elimination verstorbener Patienten aus der (Prävalenz-) Datei.

Dazu  benötigen  die  Register  Zugang zu den amtlichen Totenscheinen sowie  ebenfalls  die  Möglichkeit der (Re-)identifizierung.

Die  weitergehenden  Ziele regionaler Register, nämlich Anhaltspunkte
für die Suche nach kausalen Faktoren zu gewinnen und Risiko-Gruppen  zu ermitteln, erfordern  nicht nur  eine zeitliche,  geographische und soziale Differenzierung, sondern auch die Differenzierung nach Umwelt- und Lebensbedingungen. Da man bei einer Latenzzeit  der Krebserkankungen bis zu 30 Jahren und mehr und z.B. Tausenden von chemischen  Verbindungen  - nach

   

82    DBÄ 2/1984                                                                                                                                    

 



 

+
Krebsregister

 

 
  DBÄ      2/1984 87

 






 


 


 

 
  DBÄ      2/1984 96

 



1 –


Krebsregister und das Problem der Verhältnismäßigkeit.

Zur Situation der Krebsepidemiologie in der Bundesrepublik.


Literaturverzeichnis